Der Körper ist das Tor zum Gewahrsein. Der erste Schritt in das Erleben des Gewahrseins ist, die Sprache des Körpers im Raum des Körpers zu empfinden. Wer den Körper nicht empfindet, nicht seine vielen Ausdrücke, nicht die Lebendigkeit, die den Körper fein pulsierend durchzieht, der ist in den Räumen des Denkens unterwegs. Der Verstand kann die inneren Wände bunt gestalten und damit sogar das Gewahrsein simulieren, wenn er eine Beschreibung des Gewahrseins gelesen hat und nun weiß, was er vorgaukeln muss.
Wer nicht wach und präsent sieht, hört, riecht, schmeckt und tastet, der ist nicht im Gewahrsein. Denn die Sinne sind Teil des einen, ganzen Erlebens, das uns Menschen in jedem Atemzug geschenkt wird. Wer glaubt, sich noch von Eindrücken fern halten zu müssen, der ist nicht befreit, und Gewahrsein ist das befreite Atmen in alles Erleben hinein.
Wer nicht fühlt, wer nicht das in jedem Augenblick immer wieder neue Gefühlsgemisch mit all seinen Aspekten und feinen Färbungen in sich wahrnimmt, der hat sein Bewusstsein noch verengt. Gewahrsein ist das Ausweiten des eigenen Erlebens auf alle zehn uns irdischen Menschen derzeit möglichen Ströme des Erlebens. Wer etwas vom eigenen Erleben ausklammert, der ist nicht befreit.
Das eigene Fühlen ist niemals ausgeschaltet. Das Herz kann sich öffnen, die fünf alltäglichen Grundgefühle Angst, Wut, Freude, Leid und Traurigkeit können in dieser Öffnung zurücktreten, doch nun ist Liebe im Innern das Gefühl, das das eigene Erleben durchscheint.
Wer die Gedanken in sich weder hört noch sieht, der ist noch in den Räumen des Denkens unterwegs, in denen die Gedanken selbst zum umgebenden Raum werden. Dieses ist das Erleben von Maya, der Illusion. Hier ist kein wahres Erleben zu finden.
Wer aus den Räumen des Denkens in das wahre Erleben tritt, der hört und sieht die Gedanken in sich. Es sind nicht alles eigene Gedanken; vieles entstammt dem Gedächtnis oder dem kollektiven Strom, der uns alle durchfließt.
Es ist möglich, das eigene innere Feld so weit zu stärken, dass es im Raum des Kopfes still wird. Dieses ist ein waches, wahres Erleben. Dem Gewahrsein ist es nicht wichtig, ob es im Raum des Kopfes still ist, oder ob Gedanken hörbar durch den umgebenden Äther ziehen. Eines jedoch geht mit dem Gewahrsein unzertrennlich einher: das innere Befreitsein.
Wer seine Gefühle nicht befreit hat, der kann nicht das reine Gefühl der Wut in sich empfinden, ohne nicht gleich in Aktion zu treten, physisch oder geistig. Wer die Traurigkeit nicht befreit hat, der kann nicht die Tränen ungebremst fließen lassen und die innerer Reinigung dieses Geschehens erleben. Wer die tiefe Stimmung, das Leid, nicht in sich befreit hat, der kann nicht präsent und wach in diesem Fühlen verweilen und einfach nur bei sich und mit sich sein, sondern geht wie zwanghaft zum Kühlschrank, um etwas auf das Leid zu legen, oder muss sich mit Unterhaltung beschweren, da ihm das Leid zu schwer zu ertragen erscheint.
Wer das Sehen nicht in sich befreit hat, der reagiert auf so manchen Anblick und wird von ihm in Körperbewegung, Emotionen oder Gedankenmuster gestürzt.
Wer das Hören, Riechen, Schmecken und Tasten in sich nicht befreit hat, der lebt noch in Reaktionsmustern und ist sich diesen zumeist nicht bewusst. Gewahrsein ist das Erleben aller Eindrücke der zehn Ströme des Erlebens zugleich, ohne von einem Eindruck zum nächsten zu springen.
Wer das Körperempfinden in sich noch nicht befreit hat, der versucht bei jedem Schmerz, bei jeder Verspannung, bei jedem Drücken oder Ziehen sogleich seinen Verstand zu bemühen, wie er diesen Körperausdruck zum Erliegen bringen kann. Wenn Schmerz sogleich Emotion hervorruft, wer beim Empfinden von Schmerz innerlich erstarrt und aus seiner wachen Präsenz des vollständigen Erlebens fällt, der hat sein eigenes Erleben und sich selbst noch nicht befreit.
Wer sich selbst nicht befreit hat, der kann Liebe nur schemenhaft in sich fühlen. Liebe ist die stärkste Kraft im Universum; sie besitzt die höchste Macht der Veränderung und Wandlung. Nur die wahrhaft Mutigen sind in der Lage, Liebe in sich zu fühlen und in dieser Liebe weit und offen zu bleiben und alles wahrzunehmen, was sie in diesem Atemzug durchfließt.
Gewahrsein ‹Gewahrsein›, ‹Bewusstsein› und ‹Bewusstheit› Antlitz des Gewahrseins Übung zum Gewahrsein
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jahnna 5 Übung – Aus dem Denken heraustreten
veröffentlicht am 24.12.2019, letzte Änderung am 24.12.2019 um 12:45 Uhr
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